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Prozessbeobachter hatten mit einer Verurteilung Šešeljs gerechnet. Der Vorsitzende der Serbischen Radikalen Partei (SRS) musste sich für die Ermordung Tausender und die Vertreibung Zehntausender Kroaten und Bosnier in den neunziger Jahren verantworten.
Šešelj-Freispruch: Scharfe Reaktionen aus Kroatien (Foto: fah)

Politik

Šešelj-Freispruch: Scharfe Reaktionen aus Kroatien

Der kroatische Premier Tihomir Orešković reagierte heute scharf auf die Provokation des serbischen Nationalisten Vojislav Šešelj. Dieser wurde heute vom UN-Kriegsverbrechertribunal zu Ex-Jugoslawien in allen Anklagepunkten freigesprochen. Seine Schuld an Kriegsverbrechen, getätigt während des Balkankriegs Anfang der neunziger Jahre, sei demnach nicht erwiesen, urteilten die Richter in Den Haag.

Grund genug für verhielt sich nach der Urteilsverkündigung in Den Haag höhnisch und drohte der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic sie in Zagreb zu besuchen. Im Laufe des Tages verhängten die kroatischen Behörden ein Einreiseverbot für Šešelj. Premier Orešković versprach dem serbischen Kriegstreiber, sollte er jemals seinen Fuß auf kroatischen Boden setzen, ihn festnehmen zu lassen.

Überraschender Freispruch und scharfe Reaktionen aus Kroatien

Prozessbeobachter hatten mit einer Verurteilung Šešeljs gerechnet. Der Vorsitzende der Serbischen Radikalen Partei (SRS) musste sich für die Ermordung Tausender und die Vertreibung Zehntausender Kroaten und Bosnier in den neunziger Jahren verantworten. Šešelj gilt auf bosnischer und kroatischer Seite als einer der Kriegstreiber neben Slobodan Milosevic, Radoval Karadzic und Ratio Mladic. Die UN-Ankläger warfen Šešelj Verbrechen gegen die Menschlichkeit in drei Fällen sowie Kriegsverbrechen in sechs Fällen vor. Eine Haftstrafe von 28 Jahren wurde gefordert.

Premier Tihomir Oreskovic: „Sollte sich Šešelj trauen die Grenze zu Kroatien zu überschreiten, werden wir ihn umgehend verhaften.“

Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic: „Der Freispruch für Šešelj ist eine schändliche Niederlage für das Internationale Strafrecht. Wenn man bedenkt, dass das Haager Tribunal Šešelj allein zu vier Jahren und neun Monaten Haft wegen Missachtung des Gerichts und ausgesprochenen Drohungen gegenüber Zeugen verurteilt hat und nun wegen Ermutigung zur Exterminierung und Vernichtung ganzer Völker und Genozid einen Freispruch erhält, dann kann das nur eine Niederlage für das Internationale Strafrecht bedeuten. Wir beten heute alle für die Opfer seiner Politik und die Opfer der Großserbischen Politik, angefangen von Vukovar bis Skabrnje, Srebrenica und bis zum Kosovo.“ Die Präsidentin erinnerte daran, dass die totalitäre Politik Seseljs gerade in Kroatien die erste und größte Niederlage erfuhr. „Ich muss betonen, dass Kroatien dieses schändliche Urteil nicht hinnehmen kann und auch nicht wird. Wir werden alles tun, damit der Gerechtigkeit genüge getan wird. Vielleicht hat das Internationale Strafrecht heute versagt, aber glauben sie mir, die Gerechtigkeit wird es nicht.“

HDZ-Chef Tomislav Karamarko: Ich bin entsetzt über das Haager Urteil. Ausgerechnet heute am 25 Jahrestag, als das erste Todesopfer auf kroatischer Seite registriert wurde, wird in Haag so ein Urteil gefällt. An einem Jahrestag, den wir als „blutige Ostern“ in Erinnerung behalten haben. Ich fühle mit allen Angehörigen und kann nur hoffen, dass es sich bei diesem Urteil um einen Fall handelt, bei dem die Mühlen des Gesetzes langsam mahlen aber am Ende doch greifen werden.

Most-Chef Bozo Petrov: „Das Haager Tribunal hat seine Kredibilität verloren und die Opfer der Großserbischen Politik und Aggression jegliche Hoffnung beraubt, dass die Hand der Gerechtigkeit jene erreicht die im Namen Seseljs handelten. Es ist tragisch, dass einer der Architekten der Großserbischen Politik vollkommen Urteilsfrei den Gerichtssaal verlassen.“

Außenminister Miro Kovac: „Das Urteil ist für alle Opfer der Großserbischen Politik verletzend und schockierend. Alle die zu Krieg hetzen, ethnische Säuberung fordern und Druck auf international anerkannte Grenzen ausüben, bekommen nun einen moralischen Blankoscheck. Das vorläufiges Urteil der Strafkammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien werden wir gründlich untersuchen.“

Gotovina-Anwalt Luka Misetic: „Das ist Ungerechtigkeit. Die Internationale Strafgerichtshof hat schon vier Mal bestätigt, dass Seselj Teil von kriminellen Unternehmungen war, zweimal im Fall Martic und das dritte Mal im Fall Karadzic. Schon 2014 konnte man vermuten wohin dies zielt als Seselj nach Hause geschickt wurde. Richter Jean-Claude Antonetti genießt in Haag auch keinerlei Anerkennung unter den anderen Richtern.“, sagte der Anwalt für die Zeitung Jutarnji, der darauf anspielte, dass sich der französische Richter nicht an den bisherigen Urteilen der anderen Richter halte würde, sondern ein subjektives Urteil gefällt habe.

„Die Idee von Großserbien machtvoll, mit mir oder ohne mich“

Šešelj beschimpfte das UN-Tribunal nach der Urteilsverkündung wiederholt. Es sei „ein antiserbisches Gericht in der Hand der westlichen Mächte“, sagte er in Belgrad. „Es hat juristisch keinerlei Bedeutung.“ Für seine über zwölfjährige Untersuchungshaft beim UN-Tribunal werde er eine Entschädigung von 14 Millionen Euro verlangen.

Es sei von „Anfang an klar gewesen, dass ich unschuldig bin“, teilte Šešelj mit. Er habe „die dort präsentierten gefälschten Beweise zerstört“. Trotz aller Verfahren gegen seine serbischen Landsleute in Den Haag bleibe „die Idee von Großserbien machtvoll, mit mir oder ohne mich“.

Šešelj, der vor dem UN-Tribunal immer wieder provozierte, wurde 2014 aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen. Im Mai 2015 forderte das Gericht in Den Haag ihn zur Rückkehr auf. Der 61-Jährige weigerte sich jedoch. Auch zur Verkündung des Urteils erschien er nicht. Vor der Urteilsverkündung hatte er auf Twitter mitgeteilt, er habe ein „reines Gewissen“.

Vojislav Šešelj war neben dem damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević ein Hauptakteur bei der Auflösung Jugoslawiens und bei den von Belgrad ausgehenden Vertreibungs- und Mordkampagnen. Nach dem Ende der Jugoslawien-Kriege setzte Šešelj seine politische Karriere fort – auch nachdem im Jahr 2006 der Prozess in Den Haag gegen ihn eröffnet wurde.

Šešelj will im April ins Parlament zurückkehren

Derzeit führt Šešelj Wahlkampf. Er hat Chancen, mit seiner Serbischen Radikalen Partei (SRS) nach der Wahl am 25. April ins Parlament einzuziehen. In Umfragen liegt die Partei, die die Schaffung eines „großserbischen“ Staates anstrebt, bei sechs Prozent. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2012 blieb das Bündnis mit 4,61 Prozent unter der Fünfprozenthürde und musste das Parlament verlassen. Das Urteil von Den Haag wird Seselijs Partei bei der Parlamentswahl Ende April zu einem kräftigen Stimmgewinn verhelfen.

Seit seiner Gründung vor über 20 Jahren hat das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag 161 Personen angeklagt. 80 wurden verurteilt. Gegen zwölf Personen laufen noch Verfahren.

Die UN als neuer Pate eines großserbischen Reiches

Zuletzt wurde in der vergangenen Woche der ehemalige Serbenführer Radovan Karadžić unter anderem für den Völkermord in Srebrenica zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt, was ebenfalls also zu mildes Urteil analysiert wurde auf kroatischer under bosnischer Seite. Er ist der bislang ranghöchste Politiker, der verurteilt wurde. Er will in Berufung gehen.

Das Urteil über den serbischen Ex-General Ratko Mladić, der ebenfalls wegen des Völkermordes in Srebrenica vor Gericht steht, wird für kommendes Jahr erwartet.

Seselj war einer der schlimmsten Kriegstreiber im Jugoslawien-Konflikt der Neunzigerjahre, einer der Chefplaner von Völkermord und ethnischen Säuberungen im Namen Großserbiens, dass sich als Opfer fremder Mächte sah. Der Freispruch durch die UN wird seiner Sicht des Jugoslawienkrieges Vorschub leisten. Wir dürfen noch mehr Bilder von Seselj erwarten auf denen er die kroatische, bosnische, amerikanische und die Flagge der EU verbrennt.

In Srebrenica kam es indes zu Vorfällen durch den Freispruch. Seselj-Anhänger fuhren hupend und feiernd durch die Straßen und sprachen Morddrohungen aus: „Wir werden euch wieder lynchen!“, sollen die Autofahrer gerufen haben, die mit den Fahnen der Radikalen Serbischen Partei geschmückt waren, berichtet AlJazeera. Es ist damit zu rechnen, dass die Lage auf dem Balkan wieder eskalieren könnte.

Heute sagte Seselj auf dem serbischen Sender N1, dass er Kroatien als Land nicht anerkennen würde, solange die Okkupation der sogenannten Republik der Serbischen Krajina andauern würde. Außerdem habe er die Ehre von 10.000 Freiwilligen verteidigt die für die Idee eines großserbischen Reiches an allen Fronten gekämpft haben. Anhänger von Seselj skandierten zudem: „Sieg, Sieg“ und „Serbien – Russland, wir brauchen die EU nicht.“

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